Farbe: Strohgelb mit silbern auslaufendem Rand.
Nase: Der 2019 Ried Zieregg Vinothek Reserve Sauvignon blanc von Tement
zeigt sich schweigsam, daher ist zur Karaffe oder dem großen teuren Glas
geraten, besser beides. Dann muss man warten, denn dieser Wein hat
keinen Zeitdruck. Wozu auch. Vielmehr spiegelt er die Ungeduld und die
eigenen Erwartungen, beginnt nur langsam zu erzählen, von der Zukunft
und seinem Potential, dass sich im Moment nur schemenhaft im Glas
abzeichnet. Aromatisch ist er enorm diszipliniert für einen Sauvignon blanc,
Kräuter geben den Takt an: Salbei, Zitronenmelisse, Ingwer sowie die
zitrisch-zedrigen Noten erstklassigen weißen Pfeffers mischen sich mit der
zaghaften Frucht. Grapefruitzesten, Zitronenblüte, Cassisblatt und grüne
Mangos füllen seinen Bauchladen, dazu kommen saline Noten nach
gestossenen Austernschalen und nasser Tafelkreide.
Mund: In Antrunk ist der Zieregg Reserve von komprimierter Statur, verdichtet fast
bis ins schmerzhaft Karge. Wie ein Mille-Feuille entblättert er am Gaumen
Schicht um Schicht, entpackt wie eine Win-Zip-Datei Dokument um
Dokument und findet dadurch mit hinreichender Belüftung und Geduld zu
seiner zupackenden Größe. In der Jugend ein leiser Wein, der nicht mit der
Trommel um den Weihnachtsbaum der plakativen Aromatik läuft, sondern
Zeit einfordert. Zeit zur Auseinandersetzung mit einem der großen Weine
dieser Rebsorte. Ein geschlossener, extrem komplexer Auftritt mit
immenser Spannung und hoher Dichte trotz des definiert muskulösen,
niemals boliden Körpers. Die Säure funktioniert als Puls des Weines,
darum schmiegt sich die herb animierende und griffige Phenolik, rauht ihn
am Zungensaum etwas auf, was den Becher schnell nachschenken lässt.
Jetzt zu trinken ist Kindsmord, fetzt aber enorm. Weil: Großer Wein
schmeckt immer, mit oder ohne Essen, gereift oder jung.
Verkostungsnotiz von Sebastian Bordthäuser vom 02.05.2023, Copyright Sebastian Bordthäuser